Frauen und Musik in der Alten Eidgenossenschaft – Frauen und die Collegia musica

Im 18. Jahrhundert hatten Frauen in der Musik nicht die gleichen Entfaltungsmöglichkeiten wie Männer. Im Vergleich zu ihren männlichen Berufskollegen waren Frauen, die sich mit Musik (zumindest teilweise) den Lebensunterhalt verdienten, in einer klaren Minderheit. So befanden sich beispielsweise in der Musikbibliothek von Lukas Sarasin (1730–1802) nachweislich keine Vertonungen von Komponistinnen, was bei einem Bestand von über 1300 Werken aus heutiger Sicht doch sehr erstaunt. Professionelle Musikerinnen traten dennoch regelmässig in den eidgenössischen Städten auf. Meistens handelte es sich um Sängerinnen aus dem nahen Ausland, die sich – begleitet von Männern – auf Tournee befanden. Costanza Piantanida (Lebensdaten unbekannt), La Pasterla genannt, und ihr Mann, der Geiger Giovanni Piantanida (1705–1782), standen in St. Petersburg in den Diensten der Kaiserin Anna Iwanowna (1693–1740), bevor sie über Hamburg, Holland, London und Paris nach Genf kamen, wo sie 1744 den Sommer verbrachten und mehrmals auftraten. Auch im Rahmen von durch Collegia musica organisierten Konzerten waren Frauen, zumindest in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, oft als Solistinnen zu hören – etwa die aus Neapel stammende Sängerin Gizielli 1771 in Basel. Ihr Auftritt gefiel derart, dass das Collegium musicum sie die darauffolgenden fünf Jahre verpflichtete.
Auch einige eidgenössische Frauen brachten es in der Musik zu grosser Meisterschaft. Die aus der Genfer Oberschicht stammende und zeitlebens in der Westschweiz lebende Pianistin und Komponistin Caroline Boissier-Butini (1786–1836) darf nach gegenwärtigem Wissensstand als die seinerzeit herausragendste Musikerin der heutigen Schweiz angesehen werden (Genf stiess erst 1815 zur Eidgenossenschaft). 1818 trat die zweifache Mutter in Paris und London vor illustren Musikerpersönlichkeiten auf, unter anderem um sich mit den besten Pianisten dieser Metropolen zu messen. Im Winter 1831/32 wohnte sie dem Unterricht bei, den Franz Liszt (1811–1886) in Paris ihrer begabten Tochter Valérie erteilte, und führte darüber sehr ausführlich Protokoll. Caroline Boissier-Butinis Kompositionen werden heute gelegentlich wieder aufgeführt und sind eine Bereicherung des Repertoires. An ihren Vertonungen, allesamt mit Beteiligung eines Tasteninstruments, zeigt sich die beeindruckende Virtuosität der Genfer Pianistin.
Die gebürtige Niederländerin und Adelige Belle van Zuylen (1740–1805) wurde in ihrer Heimatstadt Utrecht umfassend gebildet und heiratete später den Schweizer Charles Emmanuel de Charrière (1735–1808). Ab 1771 lebte sie bis zu ihrem Tod als Schriftstellerin Isabelle de Charrière mit ihrem Mann am Neuenburgersee (das Fürstentum Neuenburg gehörte seinerzeit zu Preussen). Die vielseitig gebildete Frau lernte als Kind Cembalo, Harfe und womöglich auch Laute und äusserte schon früh den Wunsch, Kompositionsunterricht nehmen zu wollen. Im neuenburgischen Colombier trat sie als Cembalistin und Sängerin in Hauskonzerten auf. Zwischen 1785 und 1795 sollte die Musik gar zu ihrem zentralen Lebensinhalt werden. Der damals international bekannte Komponist Niccolò Antonio Zingarelli (1752–1837) erteilte ihr im Herbst 1790 und im Sommer 1791 in Colombier Kompositionsunterricht. Zusammen schufen die beiden auch einige Vokalkompositionen, die heute allerdings nur unvollständig überliefert sind. Von den eigenen Vertonungen Charrières sind insbesondere ihre 6 Menuette hervorzuheben.
Des Weiteren sind im Gebiet der heutigen Schweiz auch umherziehende Spielfrauen, die hauptsächlich die Landbevölkerung musikalisch unterhielten, und Volksliedsängerinnen nachgewiesen, die ihren Lebensunterhalt höchstwahrscheinlich (zumindest teilweise und vorübergehend) mit Musizieren bestreiten konnten. Der allergrösste Teil der musizierenden Frauen wird die Musik jedoch nicht zum Beruf gemacht haben können, obschon sie vielfach ein beachtliches Niveau erreichten. Ob die beiden Töchter des Genfer Tanzmeisters Jean Girod (?–1738) Berufsmusikerinnen wurden, ist weder bekannt noch wahrscheinlich. Laut dem Frankfurter Johann Friedrich von Uffenbach (1687–1769), der im Winter 1714 am Genfersee weilte und vom Tanzmeister zu einem Privatkonzert eingeladen worden war, spielte die ältere Tochter Girods aber jedenfalls derart vorzüglich Cembalo, wie es der weitgereiste Besucher noch selten zu hören bekommen hatte, während die jüngere Tochter eine gute Sängerin war und den wenigen geladenen Gästen eine italienische Solokantate vortrug.
Tatsächlich traten Frauen vor allem im privaten Raum auf. Der Berner Stadtmusiker Johann Ulrich Sultzberger (1638–1701) beispielsweise widmete neun Patrizierinnen einen 1674 in Bern erschienenen Band mit Vokalkompositionen für zwei Sopranstimmen und Bass. Im Vorwort des Druckes erwähnt Sultzberger, dass sämtliche Widmungsträgerinnen bei ihm Gesangs- und Musikunterricht genommen hätten. Zugleich bezeichnete er sie als «Sionnitische Sing-Capellen», was darauf hindeutet, dass mehrere Schülerinnen unter der Leitung Sultzbergers zusammen musizierten und so offenbar gelegentlich einen kleinen Frauenchor bildeten. Seine den Bernerinnen dedizierten Vokalkompositionen für zwei Frauenstimmen und Bass wären dazu in der Tat das ideale Repertoire gewesen.
In der Stadt Bern scheint es damals nicht nur etliche tüchtige Sängerinnen gegeben zu haben – man ermöglichte diesen im frühen 18. Jahrhundert mittels eines «Kunstgriffs» auch öffentliche Auftritte vor grösserem Publikum, obwohl es aufgrund des Bibelspruchs «mulier taceat in ecclesia» (das Weib soll in der Kirche schweigen, 1. Kor. 14,34) lange als anstössig galt, wenn eine Frau in der Öffentlichkeit ihre Stimme erhob, auch singend. Weil die Musikübungen des Berner Collegium musicum jedoch ausgerechnet in der Französischen Kirche stattfanden, wurde dort ein Vorhang angebracht, damit dieser das Geschlecht der hinter dem Vorhang auftretenden Musikerinnen verschleierte. So jedenfalls beschreibt es oben genannter Uffenbach, als er im November 1714 in Bern einer Musikübung des Collegium musicum beiwohnte. Bei seinem Besuch seien drei «so ziehmlich wohl» singende Frauen solistisch aufgetreten. Zugleich meinte der Frankfurter, dass «die frauen zimmer der statt so liebhaber und meister der music» seien. Dies mag wenig überraschen, wenn wir uns Sultzberger und seine neun Musikschülerinnen in Erinnerung rufen.
Insgesamt vollzogen sich im Laufe des 18. Jahrhunderts grosse Veränderungen. In Winterthur sind ab 1783 sogenannte «Frauenzimmerkonzerte» dokumentiert, die sehr wahrscheinlich schon seit einigen Jahren bestanden hatten. An den vom Collegium musicum organisierten Konzerten traten vornehmlich Sängerinnen mit Vokalkompositionen auf, die sie mit ihrer Gesangslehrerin einstudiert hatten. Das Repertoire der anfangs nur in den Sommermonaten stattfindenden Aufführungen stand ganz im Zeichen der italienischen Opernliteratur; die Instrumentalmusik trat in den Hintergrund und musste zeitweilig sogar weiter beschränkt werden, damit auch alle Sängerinnen auftreten konnten. Um 1780 war im reformierten Winterthur ein öffentlicher und solistischer Auftritt von singenden Frauen offenbar nicht mehr anstössig. Auch in der katholischen Kirche sind im 18. Jahrhundert vereinzelt ledige Frauen nachgewiesen, die im Chor – also nicht solistisch – mitwirkten. Allerdings spielte ihr Zivilstand – sie wurden als «Jungferen» bezeichnet – gewiss eine entscheidende Rolle.
Obschon Frauen, wie oben gesehen, durchaus in den Konzertreihen der reformierten Collegia musica auftraten, scheinen sie im 18. Jahrhundert fast von keinem Collegium als Vollmitglieder aufgenommen worden zu sein. Jedenfalls sind nur in den Mitgliederlisten des Collegium musicum Burgdorf (1701 gegründet) und des Collegium musicum Zofingen (1750 gegründet) Frauen verzeichnet. Auf einer Darstellung von 1737, die das Collegium musicum Thun zeigt, sind ausserdem drei Frauen mit Kopftuch zu erkennen, was bedeuten könnte, dass auch dieses dem weiblichen Geschlecht die Mitgliedschaft gewährte. Weshalb gerade in diesen drei Collegia musica, im Gegensatz zu den anderen, Frauen eine bedeutende Rolle zukam, bleibt ungeklärt. Auffallend ist aber, dass einzig Berner Collegia musica Frauen ins Collegium aufgenommen haben – Zofingen gehörte damals noch zum Stand Bern. In Bezug auf die musikalischen Entfaltungsmöglichkeiten von Frauen lassen sich also grosse regionale Unterschiede feststellen.
Während Frauen auf der Bühne der Collegia musica auftreten durften, aber von diesen nicht immer als Mitglieder aufgenommen wurden, deuten die Schrift Die Reise nach dem Concerte (1755) und ikonographische Quellen darauf hin, dass das weibliche Geschlecht ab der Mitte des 18. Jahrhunderts im Publikum klar überwog. Dies lag nicht zuletzt daran, dass Frauen in Begleitung von Männern (ebenso wie fremde Besucher) freien Eintritt genossen. Diese Praxis hatte zur Folge, dass Frauen jeglichen alters zahlreich die Konzerte besuchten und dass die starke Präsenz des «schönen Geschlechts» auch viele Männer anzog, wodurch die städtischen Konzerte zu beliebten Treffpunkten mit geselligem Austausch wurden. Nebst ihrer Dominanz im Publikum traten Frauen ebenso als Gönnerinnen der Collegia musica in Erscheinung, beispielsweise in Aarau, wo namentlich mindestens elf Frauen (vier Witwen, drei Ehefrauen und vier ledige Frauen) das Collegium musicum materiell oder monetär unterstützten.
Abschliessend erkennen wir an diesen Einzelbeispielen, dass die Entfaltungsmöglichkeiten von Frauen in der Musik von vielen Faktoren abhingen. Entscheidend waren der soziale Stand der Frau, ihr Zivilstand, ihre Konfession oder der Beruf des Vaters, zudem scheint es sehr grosse regionale Unterschiede gegeben zu haben – ganz abgesehen von starken Veränderungen innerhalb des 18. Jahrhunderts.