Beethovens «Fünfte» ist die erste vollständig auf Schallplatte aufgezeichnete Sinfonie. Dieses Forschungsprojekt vergleicht alle zwischen 1910 und 1933 entstandenen Aufnahmen des Werkes mit Hilfe der von Stephen Lumenta speziell dafür entwickelten Software «click&play» und trägt die in Orchesterarchiven, Bibliotheken und Katalogen greifbaren zusätzlichen Informationen über die Umstände von Aufnahme, Veröffentlichung und Verbreitung der Platten zusammen. Dabei treten voneinander unterscheidbare Aufführungstraditionen zu Tage, die noch im 19. Jahrhundert verwurzelt sind, aber in dieser Zeit von neuen Trends abgelöst werden: Gerade der Schritt von der aufnahmelosen Zeit hin zur Reproduzierbarkeit des Orchesterklanges führt zu einer Veränderung der Interpretationsgewohnheiten hin zu einer Objektivierung der musikalischen Vorgänge: Die Tempi werden tendenziell stabiler, das «Tempo rubato» immer weniger praktiziert und die vertikale Präzision dadurch stärker gewichtet. Man verwendet die leeren Saiten immer weniger und setzt das Vibrato gleichmässiger und nicht mehr als punktuelles Ausdrucksmittel ein, sondern quasi flächendeckend als klangliche Konstante. Auf der andern Seite gilt das Portamento – das Anschleifen auch von grösseren Intervallen, das früher ausgiebig eingesetzt wurde – immer mehr als Zeichen schlechten Geschmacks. Somit verändert sich das ganze Selbstverständnis des Musizierens, wenn man zeitverschoben sich selber zuhören kann: Man wird kritischer und beobachtet das eigene Spiel als Reflexion ausserhalb der Zeit, in welcher man die Musik erlebt hat.
Im Anschluss an das Forschungsprojekt werden im Herbst 2010 durch das Orchester der HKB unter Bruno Weil die um 1900 herrschenden Traditionen exemplarisch wiederbelebt, und zwar mit einer Aufführung der fünften Sinfonie in der von Gustav Mahler eingerichteten Fassung für ein Orchester von über 100 Musikern, die Beethovens Text dynamisch und instrumentatorisch weiterentwickelt und damit gleichsam Mahlers notierte Interpretation des Werkes darstellt.
Bild: Arthur Nikisch am Dirigentenpult der Berliner Philharmoniker in der Philharmonie, 1895 (The Tully Potter Collection)
Beethoven 5 in frühen Tonaufnahmen
Eine ganze Reihe von frühen und interessanten Tonaufnahmen von Beethovens 5. Symphonie finden sich direkt auf der Seite von Projektleiter Matthias Arter.
Darunter finden sich u.a. Aufnahmen mit
Arthur Nikisch – 1913
Josef Pasternack – 1916/17
Sir Landon Ronald – 1926
Richard Strauss – 1928
Joseph Rosenstock – 1929
Franz Schalk – 1929
Felix Weingartner – 1924, 1927, 1932, 1933
Von einigen Aufnahmen fehlt dagegen bislang jegliche Spur. Hinweise sind gerne erbeten.
1916/17 Victor Concert Orchestra – Josef Pasternack (missing only the 2nd movement) (Victor 18124, 35580, 8278, 35637)
1923 VOX Symphony Orchestra – Otto Urack (Vox 01269-72)
1924 (?) Berliner Sinfonieorchester – Camillo Hildebrand (Odeon 0-6031-4)
1924 Orchester der Berliner Staatsoper – Frieder Weissmann (Parlophon P 1792-5)
1926 American Symphony Orchestra – Cesare Sodero (Edison, unpublished)
1926 Royal Philharmonic Orchestra - Bruno Walter (Columbia, unpublished)