Das Forschungsprojekt «Écoute élargie» widmet sich zwei Phänomenen der Musik nach 1945, nämlich der leeren Stimme und dem objet sonore. Mit der leeren Stimme sind alle Aspekte der Stimme jenseits von Sprache gemeint, mit dem objet sonore ein aufgenommenes Geräusch, das als musikalischer Baustein verwendet wird. Beide Praktiken stellen mit unterschiedlicher Akzentuierung den herkömmlichen Werkbegriff in Frage. Oft existiert keine Partitur, vieles ist improvisiert oder durch Praxis erprobt.
In der musikwissenschaftlichen Beschäftigung mit der Musik nach 1945 steht das Strukturelle im Vordergrund. Es werden vor allem Partituren, Kompositionssysteme und Werkkontexte analysiert. Das Forschungsprojekt untersucht demgegenüber die Frage, wie sich die Musikgeschichte nach 1945 verändert, wenn sie mit dem Fokus auf den neu eingeführten Begriff der écoute élargie betrachtet wird, wenn sie alle musikalischen und aussermusikalischen Konnotationen zulässt. Diese Frage ist deshalb besonders delikat, weil auch ein strukturorientierter Komponist wie Karlheinz Stockhausen mit leeren Stimmen und objets sonores gearbeitet hat, um neue Ausdrucksmöglichkeiten zu schaffen. Deshalb wird auch untersucht, wie und ob sich Stockhausens ästhetische Ansätze unter dem Fokus der écoute élargie erweitern.
Das Projekt versteht sich als Beitrag zur Neubewertung der Avantgarde. Das macht die Resultate über den Bereich der Musik hinaus bedeutsam. Das Spezielle liegt darin, dass die leeren Stimmen und die objets sonores aus einer Praxis erwachsen sind, die ein Feld jenseits von Inter- bzw. Transdisziplinarität eröffnen.
Bild: Stockhausens Helikopterquartett im Rahmen einer Aufführung im Wallis 2015 (zVfg Forum Wallis).
Auftritt im Kunstmuseum Bern
HKB-Forschungsmitarbeiterin und Performerin Dorothea Schürch hat am Wochenende im Rahmen der République Géniale des Kunstmuseums Bern die von ihr entwickelte Methode des Audioscoring demonstriert. Ein weiterer Auftritt wird am 13. Oktober um 16.30 erfolgen. Ein Interview in diesem Zusammenhang ist auf dem Blog des Kunstmuseums nachzulesen.