Projekt

Schreiben mit Stimmen

Zeitgenössische Kompositionspraktiken für die Stimme

In der musikwissenschaftlichen Analyse der Musik der Nachkriegszeit stehen traditionelle Notationssysteme im Zentrum. Die Werke werden in der Regel anhand von Partituren und deren Erweiterungen in Form von Legenden und Grafiken betrachtet, die eine fortschreitende Innovation des musikalischen Materials suggerieren. Dabei geraten allerdings vor allem die strukturellen Parameter der Musik in den Fokus. So wurden Werke, die sich technischer Verschriftlichungssysteme bedienen, wie sie seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Tonband existieren, ebenso vernachlässigt wie zahlreiche Werke zeitgenössischer Musik, die sich einer ausschliesslich semiotischen Beschreibung strukturell entziehen.
Am historischen Anfang des audiotechnisch-physiologischen Schreibens mit Stimmen stehen unter anderem die Werke der französischen lettristischen Stimmkünstler und Avantgardisten François Dufrêne (1930–1982) und Gil Joseph Wolman (1929–1995), die ihre poésie physique ohne Partitur direkt auf Tonband produzierten. Davon ausgehend werden die historischen Anfänge des Komponierens medialer Stimmen in den 1950er- und 1960er-Jahren untersucht, die das komplexe Zusammenspiel von Stimmführung, Umgang mit dem Mikrofon und die technisch-kompositorische Handhabung des Tonbands thematisieren.
Sowohl die Entstehungsprozesse im Werk Hans Wüthrichs als auch die medialen Zugänge der Ultra-Lettristen erweitern Schreibprozesse mit und für die Stimme. Selbst da, wo eine Partitur im herkömmlichen Sinne existiert, wird mit der Stimme oft improvisiert, wird Stimmmaterial durch aussermusikalische Praktiken oder technische Medien, wie das Tonband, vorgebildet.
«Schreiben mit Stimmen» fragt nach Kompositionsstrategien und Ästhetiken zeitgenössischer Musik, wie sie sich in diesen gesellschaftlichen und technologischen Bezügen präsentieren. Fokussiert werden kompositorische Strategien, die in Konkurrenz zur traditionellen Notenschrift stehen, da sie sich sowohl an der aufgezeichneten Stimme als auch an ihren aussermusikalischen Referenzsystemen orientieren.

Forschungsposter (PDF)

Bild: Natural Character of the Letters, in: John Wilkins: Essay towards a Real Character and a Philosophical Language, London 1668, S. 378 (Ausschnitt)

Sonic Architectures

Im September 2023 fand die Jahrestagung der GfM AG «Auditive Medienkulturen» in Bern am Studiengang Sound Arts statt. Es gab viele interessante Vorträge und Diskussionen. Von Kees Tazelaar und Jonty Harrison gab es Konzerte auf einem von Studierenden im grossen Konzertsaal gebauten Acousmonium.

In einer wunderbaren Kooperation mit der Neuen Zeitschrift für Musik konnten wir jetzt in einen Themenschwerpunkt zu unserer Tagung ausgewählte Beiträge veröffentlichen. Herausgeber sind die beiden damaligen SprecherInnen der AG Anna Schürmer und Max Haberer und für die Berner Sound Arts Teresa Carrasco und Michael Harenberg.

Neue Zeitschrift für Musik 2/2024Sonic Architectures

Der Thementeil geht auf die Jahrestagung 2023 der AG Auditive Kultur und Sound Studies an der Hochschule der Künste Bern zurück und fokussiert die Verbindung von RAUMKLANG und KLANGRAUM: von euklydisch bis virtuell, von Konzertsaal- bis Clubarchitektur, von mono bis multichannel. Klangarchitekturen bilden das Fundament musikalischer Hör- und auditiver Medienkulturen: Von der akustischen Gestaltung von Klangräumen einerseits bis zu musikalischen Raumklang-Kompositionen andererseits, von materiell-baulichen Vorrichtungen wie Konzerthäusern oder Clubs bis zu virtuellen Infrastrukturen. Wir verstehen Sonic Architectures also in einem weiten Sinne als räumliche und/oder technische Anordnungen, die Einfluss auf die Erscheinungsweisen von Musik und ihre Wahrnehmung nehmen.

Einträge