Der «multimodal shift» in der zeitgenössischen Musikpraxis
Unter dem Label «postdigital» formiert sich seit 2000 eine technologiekritische Gesellschaftstheorie. Diese weist auf das Verschwinden der Sichtbarkeit digitaler Systeme als Folge ihrer Allgegenwart hin und macht auf die sozial, moralisch und politisch präjudizierende Rolle nur scheinbar neutraler Technologie aufmerksam. Das vorliegende Projekt beleuchtet aus postdigitaler Sicht die Auswirkungen des digitalen Wandels auf die zeitgenössische Musik Westeuropas. Es orientiert sich an drei Leitfragen:
1) Wie stellt sich aus postdigitaler Perspektive der digital impact in zeitgenössischer Musikpraxis im 21. Jahrhundert dar?
2) Wie schreibt sich digitale Innovation und Technologiekritik gleichzeitig in das Musikschaffen der Gegenwart ein?
3) Welche Handlungsspielräume eröffnet die Arbeit an einer postdigitalen Musikästhetik?
Dazu dienen drei Herangehensweisen:
a) Rekonstruktion vergangener Praxisformen: Zwei diachrone Fallstudien sichern und kontextualisieren materiale und diskursive Spuren von Schlüsselproduktionen seit 2000, in denen der jeweils aktuelle Stand der Digitalitätsdebatte verhandelt wird.
b) Dichte Beschreibung gegenwärtiger Praxisformen: Zwei Fallstudien widmen sich der teilnehmenden Beobachtung aktueller «Communities of practice» und ihrer kreativen Handlungsaktivitäten.
c) Re-enactment einzelner Praxissequenzen aus a) und b): Im «Multimodallab» werden mit prägnanten Konstellationen aus den vier Fallstudien experimentiert, um nicht erschlossene Handlungsspielräume zur Disposition zu stellen und deren Praxiseffekte zu protokollieren.
Bild: Pilotversuch im Multimodallab: Mikrofonierung eines Apfels (Janosch Abel; mit freundlicher Genehmigung des Schweizerischen Nationalfonds)