Musicking Collective. Codierungen kollektiver Identität in der zeitgenössischen Musikpraxis der Schweiz und ihrer Nachbarländer
hg. von Leo Dick, Noémie Favennec und Katelyn Rose King unter redaktioneller Mitarbeit von Daniel Allenbach
(Musikforschung der Hochschule der Künste Bern, Bd. 17)
Schliengen: Argus 2024
388 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen und Notenbeispielen
Format 19 x 28,5 cm
Fadenheftung, Hardcover
ISBN 978-3-931264-97-0
doi.org/10.26045/kp64-6181
Die relationale, gemeinschafts(ab)bildende Dimension von Musik steht im Zentrum des vorliegenden Bandes, dies insbesondere unter dem Aspekt der (De-)Konstruktion von Wir-Identitäten. Beiträge über aktuelles Musiktheater – vor allem, aber nicht nur in der Schweiz – bilden gleichsam das strukturelle Rückgrat der Publikation. Wir blicken aber auch über die engen Repertoiregrenzen hinaus auf benachbarte Phänomene und Praktiken der zeitgenössischen Musik sowie auf Schnittstellen zur Laien- und Volkskultur.
In den Blick geraten sowohl ästhetische Phänomene, Konzepte, kreative Prozesse, performative Hervorbringungen und (symbolische) Bilder als auch soziokulturelle und politische Rahmungen. Die grosse Bandbreite an Fallbeispielen, Erkenntnisinteressen und methodischen Vorgehen spiegelt sich nun in der Komposition des Buches: Entstanden ist ein buntes Mosaik an verschiedenartigen Zugängen zu dem schillernden Phänomen Musicking, das sich freilich an einer gemeinsamen Blickachse orientiert. Sämtliche Autor:innen gehen davon aus, dass Musicking als gemeinsames Tun zwangsläufig verschiedene Arten von Gemeinschaften hervorbringt und diese gleichzeitig symbolisch mit Bedeutung auflädt. Aus dieser Perspektive wird Musicking immer auch zum gesellschaftlichen Projekt kollektiver Selbstbefragungen. Deren Effekt – das heißt Konsequenz und Produkt – ist ein Wir-Bewusstsein des Kollektivs. Entsprechend verschränken sich in unserem Buch ästhetische Betrachtungen durchwegs mit Aspekten von Gesellschaftsanalyse. Was die Beiträge ferner verbindet, ist das Interesse an Beispielen von Musicking, die kollektives Wir-Bewusstsein auf komplexe, dialektische Art verhandeln. Nicht das eindimensional affirmative, womöglich gar von Obrigkeiten verordnete An- und Aufrufen eines Wir-Gefühls – wie zum Beispiel beim gemeinsamen Singen von Nationalhymnen bei öffentlichen Anlässen – steht bei uns im Vordergrund, sondern die vielschichtige und oft widersprüchliche Verschlüsselung, mithin: Codierung, von Wir-Identitäten mit ästhetischen und performativen Mitteln. Auf den Prüfstand kommen daher komplizierte Geflechte von künstlerischen Musikpraktiken, durch die das Wir-Bewusstsein bestimmter Gruppen evoziert, aufrechterhalten, problematisiert, dargestellt oder weitergegeben wird.
Der Band ist hier seitenidentisch zur Druckausgabe als kostenloser PDF-Download zugänglich. Unten können auch die einzelnen Beiträge gesondert heruntergeladen werden. Die Druckausgabe ist direkt bei Edition Argus erhältlich.
Inhalt
Sabine Eggmann | »Folkloring« Schweiz. »Volkskultur« als gesellschaftliches Narrativ
Melanie Dörig | »So wünscht sie sich schon einen Mann«. Genderkonstruktionen in Appenzeller Volksliedern am Beispiel der Liedersammlung Albertina Broger
Leo Dick | Der Schatten von Mutter Helvetia. Jeremias Gotthelfs Die schwarze Spinne als Schweizer Opernsujet
Andreas Zurbriggen | Progressive Traditionalisten. Wie zwei umtriebige Walliser die Schweizer Volksmusikszene auf den Kopf stellten
Hanspeter Renggli | Vom Wachsen und Verschwinden. Gedanken zur Kammeroper Die Hellen Nächte (1988–1997) von Daniel Glaus
Noémie Favennec | La Fête des Vignerons 2019, un Festspiel régional
Leo Dick | Grand Opéra Tell. Künstlerische Forschung am Prinzip »Nationaloper« mittels angewandter Hauntologie
Katelyn Rose King | Collectives Curating Myth. Festival Neue Musik Rümlingen and Its Curatorial Legacy
Gabrielle Weber | Zeitgenössische Musik und Fernsehen – ein schwieriges Verhältnis. Elitäre Kunst trifft Massenmedium am Tonkünstlerfest in Lugano 1981
Thomas Gartmann | Der Fall Balissat – Symbol eines unliebsamen Netzwerks?
Ewa Schreiber | Polyphonic Self or Idiomatic Label? Mapping Polish Composers Born Between 1970 and 1980: Marcin Stańczyk, Aleksander Nowak, Jagoda Szmytka
Benjamin Scheuer | Le corps à corps von Georges Aperghis – eine Annäherung an die Aufführungskultur
Noémie Favennec | Anthophila. Une proposition d’art vivant pour l’art du vivant
Katelyn Rose King | Finding a Post Human Communitas in Traditional Structures. Ulrich Rasche’s Trilogy at Deutsches Theater Berlin
Irena Müller-Brozović | Das Labor als gemeinsame Werkstatt von Profi- und Laienmusiker*innen. Formen der kulturellen Teilhabe im Bereich der Neuen Musik aus der Perspektive der Musikvermittlung
Johannes Werner | Postdigitale Chöre. Eine Suche nach Chorfiguren in postdigitalem Musiktheater und Performance im Kontext von Körper, Gemeinschaft und Wertschöpfung
Katelyn Rose King/Noémie Favennec | Home (Münstergasse 37). An Aesthetic Analysis Based on Collective Experience in Site-Specific Contemporary Music Theatre