Projekt

Nebendarsteller:innen in der Hauptrolle Interpretationen um 1900 jenseits der Heroenerzählung

Die pneumatischen Reproduktionssysteme für Klavierspiel, die sich von 1905 bis ca. 1930 grosser Beliebtheit erfreuten, haben sich in den letzten Jahren als überaus ergiebige Quellen für die Interpretationsforschung erwiesen. Trotzdem blieb bisher die Auswahl der Analyseobjekte und Forschungsvorhaben in aller Regel einem Mainstream-Kanon verpflichtet. Das Projekt stellt die Frage nach dem aufführungspraktischen Inhalt der ausserhalb dieses Kanons stehenden Rollen-Aufnahmen. Es beobachtet, in welcher Weise sich der Blick auf die pianistische Interpretation um 1900 durch die Analyse dieses noch unerforschten Materials verändert und strebt eine Theoriebildung zum Klavierspiel ausserhalb des Heroennarrativs an.
Zwei Dissertationsprojekte sind Vorhaben der Interpretationsforschung, zwei weitere Teilprojekte erarbeiten die dafür notwendigen Grundlagen. Manuel Bärtsch beschäftigt sich mit der Analysemethodik für Aufnahmen von kaum oder ganz unerforschten Interpret*innen, während Sebastian Bausch den technischen Zugriff auf die Rollendaten eher seltener europäischer Rollensysteme erweitert. Die Dissertation von Cecilia Facchini erforscht – paradigmatisch für die historische Information, die der bisherige analytische Zugriff ausschliesst – eine vergessene Tradition: Die römische Liszt-Schule von Giovanni Sgambati kann nur über die Rollenaufnahmen dreier heute vollständig unbekannter Pianist*innen erschlossen werden. Schliesslich vergleicht die Dissertation von Philippe Gaspoz das Spiel von vier Pianistinnen, die nicht ohne Weiteres einer Schule oder Tradition zuzuzählen sind, deren unterschiedliche Biografien aber einen umfassenden Blick auf die Interpretinnen um 1900 und ihre Aufnahmen erlauben.
Das Projekt nutzt erstmals die neusten Möglichkeiten einer effizienten digitalen Quellenaufbereitung, um mit systematischen, historisch-komparativen und performativen Methoden insbesondere das Genderungleichgewicht und die Vernachlässigung heute wenig bekannter Interpret*innen in der Forschung an Klavierrollen auszugleichen.

Forschungsposter (pdf)

 

Bild: Klavierrollen geben Einblick in historische Interpretationstraditionen im und abseits des damaligen Mainstreams (Foto: Manuel Bärtsch)

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