Ziel des Projekts ist es, der Gehörbildung, wie sie heute in Musikkonservatorien im deutschsprachigen Raum als Teildisziplin der Musiktheorie unterrichtet wird, eine historisch informierte theoretische Grundlage zu geben. Ein neuer Bezugsrahmen für dieses Fach, das mit anderen Aspekten der musikalischen Ausbildung wesentlich stärker verknüpft wäre, wird allgemein als notwendig betrachtet und eine historisch informierte Perspektive wurde in den vergangenen Jahren in anderen Teilgebieten der Musiktheorie bereits erfolgreich angewendet.
Solfeggio
In der musikalischen Grundausbildung werden häufig Tonsilben verwendet, die dabei helfen, die Relationen innerhalb des Tonraums zu begreifen und zu verinnerlichen. Das «Solmisieren», das heisst das Singen (oder das Sprechen) von Melodien mit Hilfe solcher Tonsilben, ist heute noch in vielen Ländern ein zentrales Training im Gehörbildungsunterricht.
Wie die Partimenti, gehörten auch Solfeggi dem neapolitanischen Lehrgang an. Diese Singübungen aus den Federn grosser neapolitanischer Meister sind meist als eine oder mehrere Singstimmen mit Begleitung einer gegebenenfalls teilbezifferten Continuo-Stimme überliefert. Die neapolitanischen Solfeggi gehen weit über blosse Vocalisen oder prima vista-Übungen hinaus; vielmehr werden die jungen Lehrlinge in die zeitgenössische Tonsprache eingeführt, in ihre Paradigmen zu Stimmführung, Harmonik, Form, usw.
Wie diese Solfeggi tatsächlich im Unterricht zum Einsatz kamen – zum Beispiel welche Tonsilben angewandt wurden und in welcher Form – ist heute noch ein teils offener und spannender Gegenstand der Forschung.
«In a sense, solfeggi and partimenti were two sides of the same polyphonic coin.» (R. Gjerdingen)